Selfportrait Extended

Dora and Thea in Love

„Dora and Thea in Love“ 30×50 cm

Schattenwald contributed a picture to the „Selfportrait.extended International Exhibition of Photography“ in Turku, Finland, opening June 11th 2014.

Karin and Martin of Schattenwald extended the borders of their personalities by creating avatars in the virtual world of Second Life. Within this world, they took selfportraits of their virtual counterparts Thea and Dora interacting with each other. One of this yet unpublished series of pictures was exhibited in Turku.

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The exhibition is part of the „I am we_nteractive image“-project of media artist Wolf Nkole Helzle. In 2012 Schattenwald took already part at the group exhibition of I am we in Stuttgart, Germany. 

 

Endstation Loch

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Das Loch, zum Zeitpunkt der „Magistralenwanderung“ am 28. September 2013.
Foto: Martin Zentner

Wie ist es gekommen, dass in Stuttgart das größte Loch der Welt gegraben wurde? Dieser Frage aus dem Jahr 2053 gingen Karin Rehm und Martin Zentner im Rahmen des Projekts Loch 21 letztes Wochenende am 28. 9. 2013 nach. Dazu versetzten sie die Besucher einer künstlerischen Wanderung im Umfeld des Stuttgarter Hauptbahnhofs in die Zukunft und hielten einen Vortrag über die Geschichte des Lochs, welches aus der Bauruine eines gescheiterten Großprojektes entsprang. Die sogenannte „Magistralenwanderung“ wurde von der Künstlergruppe „Begleitbüro SOUP“ veranstaltet, bei denen Karin Rehm auch Mitglied ist.

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Karin Rehm und Martin Zentner von Schattenwald. Foto: Conny Geiger

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Virtuelle,

Herzlich willkommen in Stuttloch, dem neuen Loch im Herzen Europas!

Die ganze Welt blickt auf unsere schöne Stadt, die Maßstäbe in der Stadtenwicklung setzt und heute ein Magnet für Touristen aus aller Welt ist. Das Verdanken wir jenem Weltwunder, dass die Bürgerinnen dieser Stadt mit ihren eigenen Händen geschaffen haben:

Das Loch 21.

Doch wie ist es dazu gekommen, dass in Stuttloch das erste – und heute größte – Loch seiner Art entstanden ist? Dazu blicken wir ins letzte Jahrzehnt des vergangenen Millenium. Stuttgart, wie damals Stuttloch noch genannt wurde, hatte ein großes Problem. Dort, wo heute unser Loch gegraben wird, drängte sich einst die Stadt in einem Talkessel. Hunderttausende Bürger hausten in dichtbepackten Wohngebieten, freie Flächen gab es kaum noch. Damals gab es einen großen Bedarf an Büroleerstand und Einkaufszentren, für die jedoch kein Platz mehr da war. Also musste man alte Häuser abreißen. Doch das reichte nicht. Ein großes Gebiet der Stadt wurde damals von einem sogenannten Gleisfeld belegt. Im Zeitalter der Eisenbahn fuhren dort die Züge über ein Gewirr an Schienen in den Bahnhof ein, der inmitten des damaligen Stadtkerns lag. Die Herrscher von damals hatten seinerzeit die eigenartige Idee, den Bahnhof und die Gleise einfach zu vergraben. Damit sollte viel Land freigemacht werden, auf dem man noch mehr Einkaufszentren und Büroleerstand bauen wollte.

Es wurde 20 Jahre lang geplant und gestritten, doch Anfang der Zehnerjahre startete das Projekt. Doch der Plan ging nicht auf. Die Bauherrin, die damalige Eisenbahnbetreiberin Deutsche Bahn AG, hatte sich verplant. Details wie die geologische Beschaffenheit des Bodens, der Brandschutz oder die Finanzierung wurden übersehen. Das führte dazu, dass das Projekt nur zum kleinen Teil umgesetzt werden konnte. Das Ergebnis jahrelanger Bauarbeiten war eine mickrige mit Mineralwasser gefüllte Grube am Rande des Schiefen Turms von Stuttgart, dem damaligen Wahrzeichen der Stadt.

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Foto: Conny Geiger

Der Übergangsbahnhof konnte – wenn überhaupt – nur noch an drei Tagen der Woche angefahren werden. Das führte dazu, dass Stuttgart im Jahre 2026 komplett aus dem Bahnnetz gestrichen wurde. Trotzdem wurde das Projekt weitergebaut, denn es mussten Verträge eingehalten werden. Erst als die Deutsche Bahn sich im Jahre 2031 auf Grund einer Fehlplanung kurzfristig selbst abgeschafft hatte, standen die Bagger still.

Das Projekt wurde offiziell für tot erklärt und Stuttgart hatte die größte Bauruine der Nordeuropäischen Union. Die Stadt stürzte in noch tieferes Chaos. Herrenlose Baumaschinen verstopften die Straßen und Horden arbeitsloser Bauarbeiter marodierten durch die Stadt. Ein neues Projekt musste her. Das Meisterbürgerkollektiv beschloss, einen sehr ungewöhnlichen Weg zu gehen: Die Bürger der Stadt sollten Ideen entwickeln und über die Zukunft der Stadt entscheiden. Am Ende eines langen Entscheidungsprozesses gab es einen klaren Favoriten: Loch 21.

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Foto: Conny Geiger

Die Idee dazu hatte schon eine längere Geschichte: Im Jahre 2010, schon bevor der erste Spatenstich der Bahnhofsbegrabung stattgefunden hatte, gründete die damals noch nicht eingebürgerte Virtuelle Dora Asemwald die Initiative Loch 21, deren visionäres Ziel es war, in Stuttgart das größte Loch der Welt zu graben. Damals war die Welt jedoch nicht bereit, die Größe der Idee zu erkennen. Nur eine kleine Gruppe von Idealisten der Künstlergruppe Schattenwald um Karin Rehm und Martin Zentner trieb die Idee voran. Sie gründeten schon Ende der Zehnerjahre das damals noch wenig beachtete Lochologische Institut, welches Pionierarbeit auf dem Gebiet der Lochgrundlagenforschung leistete.  Als Anfang der dreißiger Jahre ein neues Konzept für die Stadt gesucht wurde, stellten sich die größten Koryphäen unter den Lochologen der Herausforderung, die Stadt der Zukunft zu ersinnen. Ihr Konzept konnte die Bürger der Stadt begeistern, am 28. September 2033 fand der erste Spatenstich statt. Loch 21 wurde geboren.

Um die Genialität ihres Plans zu verstehen, muss man in den Geist der Zeit eintauchen. Damals war der Großteil der Bürger noch materiell und mit der rapide voranschreitenden Virtualisierung der Gesellschaft überfordert. Da sie es noch nicht gewohnt waren, den Großteil ihres Lebens in digitalen Räumen zu verbringen, sehnten sie sich nach einem Ausgleich. Sie sehnten sich nach physischer Erfahrung. Für Sie war Loch 21 die Lösung ihrer Sorgen: Jeder Bürger wurde dazu aufgerufen, sich am Aushub des Loches zu beteiligen. Das Motto war einfach, aber griffig: Grab mit! Jeder packte seine Schaufel und gemeinsam legten sie los. Es dauerte nicht lange, bis aus einer brachliegenden Baugrube ein veritables Loch inmitten unserer Stadt entstand. Herausgefordert durch die Größe der Aufgabe erwachte die Bürgerschaft und entwickelte eine bislang ungeahnte Energie.  Die gemeinsame Aufgabe vereinte die Menschen und gab ihrem Leben einen Sinn in sinnlosen Zeiten. Das Loch wurde zum Nabel ihrer Welt.

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Foto: Conny Geiger

Im Sommer badeten die Kinder im Mineralwasser in den Tiefen des Lochs, im Winter liefen sie auf den gefrorenen Flächen Schlittschuhe. Im Jahr 2038 wurde Stuttgart schließlich zu Ehren des Loches in Stuttloch umbenannt. So sehr beschäftigte das Loch die Stuttlocher, dass die 7. und 8. Finanzkrise unbemerkt an der Stadt vorüber ging. Auch die 10. Wiederwahl der seit 2018 verschollenen Kanzlerin rührte die Grabenden wenig. Immer mehr Leute aus allen Ländern der Welt kamen nach Stuttgart, um das Phänomen zu beobachten. Gepackt von der Lochleidenschaft blieben viele von ihnen hier und graben noch heute mit. Das Loch wurde immer tiefer und größer und füllte bald den ganzen Talkessel aus.

Darum zogen die Bewohner des Kessels in die umliegenden Gebiete. Dort fanden sie ihr neues Heim in den Büroleerstandsvorstädten und Stadtrandshoppingmalls, die mittlerweile abgeschrieben waren. Der Aushub wurde am Rande des Loches aufgetürmt. So wuchs der Monte Scherbelino, auf welchem schon die Ruinen des 2. Weltkrieges ihre Ruhe fanden, im selben Maße wie das Loch.

Schon bald erhob sich Stuttgarts Hausberg majestätisch über unser Loch, durch die olympischen Winterspiele 2046 erlangte er Weltruhm. Bis heute wird gegraben, bis heute wächst das Loch. Und es ist auch nicht abzusehen, wann das Loch ein Ende findet. Für uns Stuttlocher ist der Weg Ziel genug. So lange wir graben, sind wir! Das Projekt ist ein durchschlagender Erfolg. Wo einst eine gewöhnliche Stadt ihr Dasein in einem düsteren Kessel fristete, sehen wir heute ein veritables Weltwunder:

Loch 21, das größte Loch der Welt!

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Wanderkarte der „Magistralenwanderung“, Begleitbüro SOUP. Die Stationen entsprechen Bahnhöfen, die an der Bahnmagistrale Paris-Bratislava liegen.

Schattenbeziehung

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„Connecting with my shadows – Me with myself and us with the light“
Karin Rehm, 2013

Nach der ersten Gruppenausstellung mit Symposium des Projekts  „I am we_interactive image“ des Medienkünstlers Wolf Nkole Helzle in der Stuttgarter a+gallery im letzten Sommer, findet nun das zweite internationale Nutzertreffen in İzmir statt. Diesmal ist Karin Rehm mit ihrer Arbeit „Connecting with my shadows – Me with myself and us with the light“ in der Ausstellung vertreten, die am 18. Mai eröffnet wird. Thema dieser Ausstellung ist „Beziehungen“, in welcher Karin ihre Beziehung zu ihrem Schatten und den Schatten ihr nahestehender Menschen beleuchtet.

Ein Artikel über das Symposium im türkischen Magazin „Demokrat Haber“ ist übrigens mit Beiträgen von uns illustriert.

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„I am we_interactive image“ ist eine Internetplattform, die es jedem ermöglicht, Bilder in ein virtuelles Tagebuch zu stellen, für jeden Tag des Kalenders eins. Die Bilder werden wiederum als Mosaiksteine genutzt, aus denen die Profilbilder von Mitgliedern nachgebaut werden. So entstehen Porträts aus der Summe aller: Ich bin wir. Man kann die Bilder anderer kommentieren, ein reger Austausch internationaler Amateur- und Profifotografen ist entstanden. Karin Rehm und Martin Zentner von Schattenwald sind Mitglieder dieser Gruppe und haben sich beim ersten Nutzertreffen in Stuttgart mit mehreren Arbeiten beteiligt.

Besetzt!

Norbert Prothmann führt in die Geschichte der Scheinanlage Brasilien ein.

Wie schon zuvor berichtet hat die Künstlergruppe SOUP eine Ausstellung zum Thema Scheinanlage im Stuttgarter Rathaus eröffnet. Schattenwäldlerin Karin Rehm ist als Mitglied von SOUP an der Ausstellung beteiligt.  Wir waren dabei und hatten Dora und Thea im Gepäck.

Thea und Dora: Passendes Outfit zur Ausstellung.

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Einladungskarte der Ausstellung

Da Schein und Sein ein durch und durch schattenwäldlerisches Thema ist, haben wir die Beiden in die Ausstellung integriert. Der geeignete Ort: Das zum Lochbahnhof umgekehrte Bahnhofsmodell, welches das historische Thema mit der aktuellen Bahnhofsthematik verknüpft und auf den Kopf stellt.

Ein Bahnhof steht Kopf

Ein umgedrehter Bahnhof, hier von innen betrachtet, wird zum Lochbahnhof.

Besetzt! Dora und Thea integriert in das Bahnhofsmodel

Somit wurden Thea und Dora zu Rathausbesetzerinnen, zumindest für die Dauer der Ausstellung.

Hier ein Erlebnisbericht von Thea:

Bei der Eröffnung der Ausstellung „Attrappen & Scheinbahnhöfe II – Den Kopf hinhalten für Stuttgart“ im Stuttgarter Rathaus kommt Dora und mir eine Idee: Occupy Rathaus! Damit sind wir nicht die ersten mit diesem Gedanken, aber vielleicht sind wir ja erfolgreicher als die anderen zuvor. Wir haben einen sehr findigen Platz für uns entdeckt: das auf dem Kopf stehende Modell des Stuttgarter Hauptbahnhofs von Harry Walter. Durch die Umkehrung wird nicht nur der Bahnhof unter die Erde gelegt, sondern auch noch zum Loch transformiert, das von einer Glasplatte abgedeckt wird. Der Platz zwischen Modell und Glas ist sehr eng – aber nicht zu eng, wenn man aus Papier ist wie wir. Unser Ziel: Über die Dauer der Ausstellung wollen wir nicht weichen!

Wenngleich uns zwei Wochen Lochwache nicht schockieren können, ist es doch eine verdammt lange Zeit, die wir zum Glück nicht alleine verbringen müssen. Zwei Freunde von uns, eine Bezirksbeirätin aus dem Stuttgarter Süden und ein tiefbahnhofkritischer Online-Aktivist nutzen jedes Zeitloch, das wir ihnen auf unserer Facebook-Seite schaffen, um uns während unserer Rathausbesetzung zu besuchen.

Nach der ersten durchzechten Nacht gibt’s pünktlich um 09:09 virtuellen Kaffee und auf meinen Wunsch ein Stück von Fred Frith und Iva Bittová zu hören. Besucher Frank bringt uns Pixelfood en masse. Am selben Abend lesen uns die Freunde bei flackerndem Kerzenlicht und leiser Musik aus Platons Politeia vor, in der er die Möglichkeit einer idealen Staatsordnung diskutiert. Am nächsten Abend singen sie uns Lullabies und erzählen uns die Geschichte von Orpheus und Eurydike. Nach antiker Vorstellung war es kein Trost, dass Orpheus sich als Schatten zum Schatten der Eurydike gesellen konnte. Uns jedoch schon, denn als Schatten fühlen wir uns in unserem Element.

Das Scheinanlagen-Outfit, welches wir uns extra für die Ausstellung nähen ließen, haben wir bald satt. „Wenn virtuelle Kleidung stinken könnte …“, lamentieren wir, und finden Gehör! Unsere Freundin Tine überrascht uns schon am nächsten Morgen mit schicken neuen Fummeln für die nächtlichen Partys auf der Dachterrasse. Gemeinsam mit Frank trägt sie dann abends unser Lieblingsstück „das Höhlengleichnis“ aus der Politeia  vor, in dem wieder Schatten eine Hauptrolle spielen. Was auch immer „wahr“ und „schön“ sei, so viel wird uns bei der Performance klar, es entsteht im Auge und Ohr des Betrachters!

Als erfahrener Blockierer weiß Frank, dass Nachtbesetzungen im Widerstand kaum Unterstützer finden: „Sie gehen alle mit dem Sandmännchen ins Bett!“. Er jedoch nicht, er steht uns tapfer zu jeder Stunde zur Seite. Wie zu erwarten läuft die Besetzung – genauer gesagt die Beliegung – des Bahnhofsmodells im Rathaus äußerst friedlich ab. Kaum einer nimmt Notiz von uns, außer den Ausstellungsbesuchern natürlich. „Papierpuppen sind zwar sehr leicht wegtragbar“, philosophieren wir, „aber sie verschwinden eben auch in den dünnsten Ritzen“.

Tagsüber fahren wir zum Rauchen mit dem Paternoster in den 4. Stock auf die Dachterrasse. Eines Abends treffen wir dort gegen 23:23 Uhr ein paar Facebook-Bekannte, die auf einige Drinks mit uns abstürzen. Einer redet sogar von Pressefotos, die wir natürlich gerne haben wollen. Wir posieren übermütig, Frank mixt uns immer neue Drinks und legt die für seine Ohren passende Musik dazu auf. Jedoch nicht für unsere Ohren, weshalb wir heftig protestieren. Auch gut, so kommen wir schon nicht aus der Protest-Übung. Wir einigen uns auf ein Lied der Punkband Slime und grölen „Legal, Illegal, Scheissegal“ vom Glockenturm in die dunkle Nacht. Der Herr vom Atelier Quadratmetertausch stößt dazu ins mitgebrachte Horn. Sein Instrument beherrscht er ebensowenig wie ein guter Punk.

Unseren Dienst als Lochwächterinnen unter der Glasdecke des umgedrehten Bahnhofsmodells  nehmen wir während der Ausstellungsöffnungszeiten sehr ernst. Es geht schließlich darum, die inneren Werte des Bahnhofs – sein uns heiliges Nichts – zu bewahren. Tagtäglich warten wir auf eine Reaktion der Politiker dieser Stadt, doch weder Wölfle, Schuster, Kuhn und dergleichen fühlen sich bemüßigt, auf unsere Besetzung zu reagieren. Weder SEK, Megaphon, Pressekonferenz noch Telefonate mit der Kanzlerin werden aufgefahren. Wer kommt, ist Herr Joly, der Leiter der Akademie Schloss Solitude, dem die Ausstellung wohl sehr gut gefällt. Doch aus protestlerischer Sicht bringt uns das auch nicht weiter. Wir müssen uns was anderes ausdenken.

Um die verschlafenen und herbstlich verschnupften Stuttgarter etwas aus der Reserve zu locken, heften wir in der letzten Woche der Ausstellung ein erstes Banner ans Rathaus. „Eine Katze ins Rathaus!“, ist darauf zu lesen. Angeregt vom Glockenspiel im Uhrenturm, das täglich um 11:06 Uhr, 12:06 Uhr, 14:36 Uhr und 18:36 Uhr aus 30 frei hängenden Glocken schwäbische Volkslieder spielt, fordere ich: „Öffentliche digitale Uhren, die zu Schnapszahlzeiten piepsen!“ Und politisch, wie wir nunmal sind, das wichtigste: „Wir sind FÜR Loch 21. Löcher muss man aushalten, dann werden sie zu einer saftigen Wiese der Muse. Grab mit!“ Die Bannerkritzeleien nehmen kein Ende, wir kommen vom Hundertsten ins Tausendste. Man hat ja nicht immer die Gelegenheit, sich etwas öffentlich wünschen zu können.

Damit wir in Ruhe die Banner an der Rathausfront befestigen können, schreibt Dora ein Ablenkungsschild: „Sitzungsgeld bitte im 1. Stock abholen!“. So können wir ohne aufzufallen unser Vorhaben umsetzen. Leider sind die Banner ebenso unauffällig. Dora sinniert: „Hach, der Widerstand, wo ist er denn, wenn man ihn braucht?“, als dürste sie nach einer starken Katze, die mal ordentlich durchgreift. Doch liegt das Problem eher an unseren allgemeinen Größenverhältnissen! Als Papierpuppen sind wir dann doch zu klein, um richtig aufzufallen. Wir sprechen noch über die Vor- und Nachteile vom Virtuellenwahlrecht, das es ja (noch) nicht gibt, und darüber, wer wir sind und wenn ja wie viele.

Unsere Besetzung endet damit, dass Steffen Bremer vom Begleitbüro SOUP uns am Abbautag einfach in die Tasche steckt.

 

Fotos: Schattenwald

Den Kopf hinhalten für Stuttgart

Morgen eröffnet im Stuttgarter Rathaus die Ausstellung „Den Kopf hinhalten für Stuttgart“ der Künstlergruppe SOUP. Schattenwald-Mitglied Karin Rehm ist neben Ulrich Bernhardt, Steffen Bremer, Michael Gompf, Kurt Grunow, und Harry Walter Mitglied dieser Gruppe, weshalb wir euch herzlich dazu einladen wollen.

Attrappen & Scheinbahnhöfe II
Den Kopf hinhalten für Stuttgart

16.11. – 30.11.2012
Rathaus Stuttgart

Eröffnung: Freitag 16.11.2012 – 19 Uhr

Rathaus Stuttgart – Foyer 2. Stock

Unter Mitwirkung von Zeitzeugen und Schülern der örtlichen Realschule fand 2011 die Ausstellung „Scheinanlage Brasilien – Bomber über Lauffen“ im Museum im Klosterhof in Lauffen am Neckar statt. Diese hatte es sich zum Ziel gesetzt, das verfügbare und keineswegs konsistente Wissen um diese fast schon in Vergessenheit geratene Scheinanlage zu sichten und in eine künstlerische Installation zu übersetzen. – Ausgangspunkt der Stuttgarter Ausstellung ist nun eine Episode, die sich 13 Jahre nach Kriegsende abspielte. Im Jahre 1958 wurden dem damaligen Stuttgarter OB Arnulf Klett Unterlagen zugespielt, die „die Leiden der Lauffener Bevölkerung im letzten Kriege betreffen“. Klett nahm die Gelegenheit wahr, um der Stadt Lauffen seinen Dank dafür auszusprechen, dass deren Bürger damals den Kopf hingehalten haben für Stuttgart. Zur Bekräftigung seines Dankes ließ er der Stadt Lauffen ein „Stuttgart-Bild“ zukommen, verbunden mit einer Einladung an den Lauffener Gemeinderat zu einem Besuch der Landeshauptstadt. Das im einzelnen unbekannte und heute als verschollen geltende Ölgemälde, für das die Stadt damals 500 Mark ausgegeben hatte, bildet den Hintergrund für eine künstlerische Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Attrappencharakter urbaner Wirklichkeit – ausgelöst durch lokale Ereignisse von fundamentaler Bedeutung. Die Querelen um Stuttgart 21 haben den Begriff „Scheinanlage“mit einer neuen Bedeutung aufgeladen. Die Frage, was man von Stuttgart alles weglassen kann, oder – anders gesagt – wie man aus Stuttgart eine sich zum Verwechseln ähnliche Stadt macht, ist jetzt zu einer unmittelbar politischen geworden. Der Ausdruck den Kopf hinhalten für Stuttgart muss in diesem Zusammenhang neu bewertet werden.

Die Stuttgarter Künstlergruppe „Begleitbüro SOUP (Stuttgarter Observatorium Urbaner Phänomene)“ hat sich 2009 in der Absicht zusammengefunden, das Geschehen um Stuttgart 21 einer künstlerischen Langzeitbeobachtung zu unterziehen und deren Ergebnisse in Form von Ausstellungen, Aktionen und Publikationen öffentlich zu machen.

Mehr zu dieser Scheinanlage: http://scheinanlagebrasilien.wordpress.com/presse/

Scheinanlagen sind ein Thema, das uns als Künstler, die an der virtuell-materiellen Grenze agieren, sehr interessiert. Aber auch historisch sind sie faszinierend. Karin Rehm hat diesen Sommer einen Artikel über die Scheinanlage „Brasilien“ für das Magazin „Remstaler“ der Münzenfreunde Rems geschrieben, der diesen weniger bekannten Teil der Stadtgeschichte beleuchtet:

Scheinanlage „Brasilien“ –
Was der Hauptbahnhof Stuttgart auf dem Kartoffelacker suchte

Fotoalbum eines Rastatter Soldaten, der beim 14. Infanterie-Ersatz-Regiment in Heilbronn seinen Militärdienst leistete und als Fahrlehrer tätig war. „1941. Attrappe des Stuttgarter Bahnhofs bei Brackenheim“ steht handschriftlich vermerkt neben einem unscharfen Bild mit einem Turmgebäude auf einem Feld. Zeitzeugen stellen das Bild aufgrund des Baumbestandes im Bild infrage. Die Bilder links unten und in der Mitte oben zeigen jedoch Attrappen der Scheinanlage, sogenannte „Sheds“. Das Foto rechts oben legt nahe, dass die Aufnahmen aus einem Fahrzeug gemacht wurden. (Foto: SOUP)

Inmitten eines Kartoffelackers ragt der Turm des Stuttgarter Hauptbahnhofs empor. Oder besser gesagt: eine Kulisse, die mit Licht und Schatten den nächtlichen Anblick des Bahnhofes suggerieren soll. Weitere Kulissen, wie zwei halbhohe nach oben hin offene, runde Gebilde, die Gaskessel darstellen sollen und ein ausgeklügeltes System von Scheinwerfern, Leuchten, Lichtblitzen und Feuern dienen einem einzigen Zweck: Ein Acker 35km nordwestlich von Stuttgart, zwischen Lauffen, Hausen und Nordheim, soll bei Nacht aus der Luft so aussehen, als handle es sich hier um die Hauptstadt selbst.

Die schattenhafte Silhouette auf der Luftaufnahme der Royal Air Force entspricht laut Zeitzeugenaussagen dem Standort der Bahnhofsattrappe. (Foto: Luftbilddatenbank)

1940 wurde die sogenannte Scheinanlage „Brasilien“ als Lockvogel für heranfliegende Bomber aus England gebaut – 30 starke Scheinwerfer und bis zu 50 Flakgeschütze inklusive. Tagsüber wirkte die Scheinanlage unscheinbar. Die Attrappen aus Holz, Sackleinen, Strohmatten und Backstein erinnerten an landwirtschaftliche Gebäude. Zu dieser Zeit kamen die Angriffe nur bei Nacht, bei Tag wurden die Felder bestellt. Der Plan ist aufgegangen: Im Kriegstagebuch des Luftgaukommandos VII wurden für die zweite Hälfte des Jahres 1941 insgesamt 1226 Abwürfe auf die Scheinanlage vermerkt, davon 201 Sprengbomben, ca. 1000 Brandbomben und 25 Leuchtbomben. 1943 wurde die Scheinanlage wieder abgebaut, da sich die Bomberpiloten dank neuester Radartechnik nicht mehr in die Irre leiten ließen.

Von der Scheinanlage geben heute nur noch wenige Dokumente Zeugnis. Ihre Existenz war streng geheim, sie durfte nicht fotografiert werden. Bauern brauchten Passierscheine, um ihre eigenen Felder zu bestellen. Nichtsdestotrotz war allen Bürgern dort bewusst, welches Spiel dort getrieben wurde.

Dass es überhaupt Bilder von der Anlage gibt, ist der Fotografierfreude von Soldaten und Luftwaffenhelfern zu verdanken. Als 2010 die Künstlergruppe SOUP (Stuttgarter Observatorium urbaner Phänomene) sich dem Thema der Scheinanlage angenommen hatte, kamen im Zuge ihrer Recherche zwei Fotoalben zum Vorschein. Im Rahmen einer Ausstellung über die Scheinanlage im Museum in Lauffen befragte SOUP 25 Zeitzeugen. Mittels ihrer Aussagen konnten die Fotos in den historischen Kontext eingeordnet werden. Während die meisten Bilder den Alltag junger Flakhelfer dokumentieren, gibt es nur zwei Fotos, die nach Aussage der Zeitzeugen die Attrappen der Scheinanlage abbilden. Der Nachbau des Bahnhofs ist auf keinem der Bilder zu sehen. Nur die schattenhafte Silhouette eines u-förmigen Gebäudekomplexes auf einer Luftaufnahme der Royal Air Force konnte anhand der Erinnerungen von Kindern der Kartoffelbauern als Bahnhofskulisse identifiziert werden. Dieser Aufnahme konnten Mitglieder des Kampfmittelbeseitigungsdienstes entnehmen, dass der Turm nicht höher als 10m war. Die Summe aller Fotos und der teils widersprüchlichen Erinnerungsaufzeichnungen umreißt unser heutiges Bild der Scheinanlage.

Einziger Bildnachweis der Kulissenbauten: Sogenannte „Sheds“ waren Lattengerüste, die beidseitig mit Schilfmatten abgedeckt wurden. Diffuses Licht drang durch die Matten nach oben. (Foto: unbekannt)

Dass die Lauffener für ihre Stuttgarter Nachbarn den Kopf hinhalten mussten, veranlasste den Stuttgarter Oberbürgermeister Dr. Arnulf Klett 1958 dazu, ein „Stuttgart-Bild in Öl“ als Zeichen des Dankes zu überreichen. Leider ist dieses Bild verschollen. Am 15. November wird die Künstlergruppe SOUP im Stuttgarter Rathaus eine weitere Ausstellung eröffnen, die sich der Suche nach dem verlorenen Bild widmet und sich im Rahmen dessen nochmals mit der Scheinanlage auseinandersetzen wird. Dazu soll auch eine Publikation entstehen. Übrigens: Als Dank für das Bild zog der Lauffener Bürgermeister Hans Roller wiederum eine Gedenkmünze mit dem Relief Lauffens aus der Tasche, welche am Revers oder am Dienstwagenkühler seines Kollegen ihren Platz finden sollte.

http://de.wikipedia.org/wiki/Brasilien_(Scheinanlage)
http://www.begleitbuero.de/ausstellungen/die-scheinanlage-brasilien-lauffen-2011.html
http://scheinanlagebrasilien.wordpress.com/presse/

Zwei Luftwaffenhelfer lehnen am Schlagbaum vor Baracken auf der Zimmerner Höhe. (Foto: Reinhard Betsch)

Gruppenaufnahme von Luftwaffenhelfern und eines Flaksoldaten (ganz rechts) am Schlagbaum (Foto: Reinhard Betsch)

In den Stuben der Luftwaffenhelfer wurden jeweils fünf Mann untergebracht. (Foto: Reinhard Betsch)

Umwallter Geschützstand bei Nordheim. Das Geschütz „Anton“ war eines von vieren. Sie waren veraltete Modelle aus dem ersten Weltkrieg, die in Ermangelung einer Zieloptik und eines Rechengerät nicht in der Lage waren, gezielt feuern zu können, sondern nur Sperrfeuer abzugeben. „Wir schießen ja nur Löcher in die Luft“, so ein Zeitzeuge über die Ungenauigkeit der Sperrfeuerbatterie, die eine richtige Flugabwehr nur simulieren sollte. (Foto: Reinhard Betsch)

Luftwaffenhelfer vor der Hauptbaracke. Ganz links: Fotograf und Luftwaffenhelfer Reinhard Betsch. Die Nordheimer Gruppe wurde aus Schülern des Jahrgangs 1926 gebildet. Lehrer ihrer Schule erteilten Unterricht in der Hauptbaracke. (Fotograf unbekannt)

Luftwaffenhelfer im Drillichanzug. (Foto: Reinhard Betsch)

Luftwaffenhelfer bei der landwirtschaftlichen Arbeit. (Foto: Reinhard Betsch)

Silvesterfeier 1943/44 an neuem Standort: Nachdem die Sperrfeuerbatterien Nordheim und Nordhausen im Spätsommer 1943 aufgelöst wurden, wurden die Luftwaffenhelfer nach Stuttgart-Heumaden versetzt. (Foto: Reinhard Betsch)

Ausstellung „Die Scheinanlage Brasilien – Bomber über Lauffen“ der Künstlergruppe SOUP im Museum Lauffen am Neckar im Klosterhof vom 15. Mai bis 25. Juni 2011. (Foto: SOUP)

Schüler der Hölderlin-Realschule Lauffen befragen Zeitzeugen im Rahmen der Ausstellungsvorbereitung. (Foto: SOUP)

Zeitzeugen diskutieren über den Standort der Scheinanlage. (Foto: SOUP)


Glücklich und schön